Terafik: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Terafik: Roman' von Nilufar Karkhiran Khozani
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Terafik: Roman"

Es ist Nilufars erste Reise nach Iran und in eine ihr unbekannte Familie – die Familie ihres Vaters, der sie verlassen hat, als sie noch ein junges Mädchen war, und zurück in seine Heimat gegangen ist. Dort trifft sie auf neue Gesichter, die alle ihre Wunden und Sehnsüchte haben, und eine Gesellschaft voller Gegensätze. Nilufar lernt ein Leben kennen, das hätte ihres sein können, und einen Vater, der ihr immer dann ausweicht, wenn sie ihm nahekommt. Umgeben vom Chaos der ständig fließenden Hauptstadt Teheran und der wohlmeinenden Gastfreundschaft ihrer Verwandten entblättert Nilufar Schicht um Schicht die Zerrissenheit eines Landes, ihrer Familie und ihrer eigenen Identität.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:256
EAN:9783896677518

Rezensionen zu "Terafik: Roman"

  1. Wenn man an die Wüste denkt...

    Identität besteht aus vielen kleinen Einzelteilen, so zahlreich und strahlend wie die Kerne eines Granatapfels. Identität ist fließend, sie verändert sich je nach Situation, nach Selbstwahrnehmung oder Sichtweise anderer Menschen auf einen selbst. Diese wesentliche Diskussion, die auf beeindruckende Weise in Niluafar Karkhiran Khozanis „Terafik“ angestoßen wird, bildet eins der Kernthemen in der Auseinandersetzung der Erzählerin mit ihrem bekannten Heimatland Deutschland und dem fremden Vaterland Iran.

    Als Nilufar als erwachsene Frau im Jahr 2016 zum ersten Mal in ihrem Leben zu ihrer weitverzweigten, großen Familie nach Iran reist, wird sie mit Unbekanntem, mit Beschränkungen und Offenbarungen konfrontiert, die auch ganz persönliche, vergangene und aktuellere Erfahrungen aufreißen. Des Persischen kaum mächtig ist sie in Iran fast so abhängig wie ein Kind (und wird auch vielfach so behandelt), das von anderen, meist der fast gleichaltrigen Cousine, an die Hand genommen werden muss, um durch den typischen Teheraner „Terafik“ – Traffic – gelotst zu werden.

    Iran ist für sie Überforderung und Zauber zugleich. Auf der einen Seite die massive Sprachlosigkeit, die auch das erzwungene Schweigen der Frauen versinnbildlicht, auf der anderen Seite die Wärme und Zuneigung, die Freude der Familienmitglieder denen sie begegnet und vor allem auch die Liebe derselben zu ihrem Land – ganz unabhängig von der politischen Lage – verbunden mit der beständigen Hoffnung auf eine besserer Zukunft.

    „Terafik“ wirft einen Blick hinter aus deutscher Sicht hohe Mauern, entlarvt pointiert und durchaus plakativ und manchmal auch nah am Klischee Vorurteile und deutsches Überlegenheitsgehabe. Der Roman setzt sich mit den schmerzhaften Herausforderungen einer geteilten Identität auseinander: sowohl im Heimatland der Mutter wie auch dem des Vaters gehört Nilufar letztlich nicht „dazu“ – hier sie muss sich ihren Platz beständig selbst erobern, für sich selbst definieren, dort kennt sie sich nicht aus und muss geleitet werden. Ihr Weg durch diese verschachtelten Identitätsmuster (nicht umsonst nimmt der Roman immer wieder das Bild der orientalischen Ornamente auf), wird an die Aufarbeitung des Lebens ihres Vaters gebunden, der sich immer zu Deutschland hingezogen fühlt, aber letztlich an ihm gescheitert ist. Nilufar begegnet ihrem Vater über weite Strecken mit liebevoller Nachsicht, versucht die Sprachlosigkeit zu überwinden, die ebenfalls auch dadurch bedingt wird, dass ihr Vater nur gebrochen Deutsch spricht, während sie seine Sprache nur schlecht versteht.

    „Terafik“ berührt auf einer ganz eigenen Ebene. Mich hat es mitgenommen zu Menschen, die in ihrem Herzen Wärme und Optimismus tragen, auf bessere Zeiten hoffen, das Leben so annehmen, wie es sich ihnen bietet, die sich streiten, nicht miteinander reden, aber durch Tradition und Familie zusammengehalten werden. Auch wenn ein großer Reiz des Romans sicher in der Autofiktionalität des Textes besteht, funktioniert die Geschichte auch ohne die Berücksichtigung dieser Komponente. Der Autorin gelingt es trotz einiger inhaltlicher Wiederholungen, einen mitreißenden und überzeugenden Einblick auf ihre eigene (Identitäts-)Reise zu gewähren. Als Leser geht man mit der veränderten und gereiften Nilufar sehr bereichert aus der Lektüre des Romans hervor und besitzt hoffentlich anschließend zumindest ein bisschen mehr Verständnis und Einsicht. „Terafik“ hallt nach. Ich für meinen Teil denke auf jeden Fall wie Nilufar oft an die Wüste.

  1. 3
    14. Aug 2023 

    Nilufars Reise nach Iran und in die Vergangenheit

    Die Veröffentlichung „Terafik“ der Autorin Nilufar Karkhiran Khozani trägt die Beschreibung „Roman“ auf dem Cover, erscheint aber sehr nah an der Autorin selbst und ihrer ersten Reise als erwachsene Frau in das Geburtsland ihres Vaters entlang geschrieben zu sein.

    Die Romanfigur Nilufar Karkhirian Khozani begibt sich nicht nur rein physisch das erste Mal nach Iran, sondern kehrt mithilfe von Erinnerungen zurück in ihre eigene Kindheit und das Aufwachsen in ihrem Heimatland Deutschland mit einem iranischen Vater, der, als Nilufar auf der Schwelle zur Teenagerzeit steht, kurz nach der Trennung von ihrer Mutter Deutschland wieder verlässt und nach Iran zurückkehrt. Auch seine Erlebnisse in Deutschland während des Ingenieurstudiums und darüber hinaus flechtet die Autorin – hier sicherlich besonders stark fiktionalisiert – in ihren Roman ein. So entsteht ein Geflecht aus autobiografischen Anteilen aus Ereignissen während der Reise Nilufars nach Iran, ihren eigenen Erinnerungen an das Aufwachsen und (kursiv im Text hervorgehoben) den Erlebnissen des Vaters in Deutschland, welches Nilufars Familiengeschichte vor allem väterlicherseits formt.

    Für mich besonders interessant an diesem Roman sind die Beschreibungen des Besuches in Iran. Hier erleben wir mit Nilufar, wie es ist, in Deutschland nicht als „Deutsche“ zu gelten und in Iran nicht als „Iranerin“. Ein Eindruck, welchen viele - wenn nicht gar fast alle - Menschen, deren Eltern aus verschiedenen Kulturen stammen, teilen. Nilufar muss sich in die iranische Gesellschaft mit ihren rigiden Vorgaben für Frauen einfinden und bleibt stets wie ein Fremdkörper in diesem ausgeklügelten Tanz aus Verboten und kleinen Grenzüberschreitungen im Privaten. Die Beobachtungen in Iran sind damit die eindrücklichsten des Romans für mich. Auch die geschilderten Erfahrungen des Vaters in Deutschland und das Aufwachsen Nilufars sind nicht uninteressant, gleichen sich aber auch naturgemäß bereits existierenden Berichten von Eingewanderten und deren Nachkommen.

    Sprachlich erschien für mich der Roman besonders zu Beginn sehr stark. Wenn immer wieder Gleichnisse verwendet werden, um die Eindrücke des Vaters zu verdeutlichen. Eine unheilvolle Atmosphäre entsteht hier sehr drängend:

    „In der Dämmerung zogen schwarze Wolken auf, vereinzelte Tropfen schlugen auf dem Asphalt ein wie Granaten, ein Vogel schoss auf das Fenster zu, ein dumpfer Klang wie ein Fingertipp auf ein Mikrofon. […] Jeder Schritt, den er den Flur hinab tat, erschütterte die alten Dielen unter dem Linoleum, mit jedem Schritt hinterließ er kaum sichtbare Kerben im Boden der Fachhochschule. Ein Wasserfall strömte auf die angestaubte Stadt. […] Seine Hände waren immer schon Fäuste gewesen.Ein ganzer Fluss rann seinen Körper hinab, er watete durch einen Ozean. […] Der Himmel war Zement. […] Eine Maschinengewehrsalve aus Wassertropfen hämmerte gegen die Fenster.“

    Leider hatte ich das Gefühl, dass diese angedeutete, brutale Intensität dann aber im Roman inhaltlich wie auch sprachlich nicht so richtig eingelöst wird. Eher berichtartig geht es danach weiter, was ich zwar interessiert gelesen habe, aber nicht in das Geschehen mitgerissen wurde.

    Insgesamt ist der Autorin Nilufar Karkhiran Khozani ein sehr guter Blick von innen und außen auf das Leben ihrer Familie in Iran gelungen. An der Figur Nilufar konnte ich allerdings nicht so stark andocken, wie es mir bei anderen Büchern mit ähnlichem Inhalt (z.B. „Die Sommer“ von Ronya Othmann o.ä.) besser gelungen ist. Aus dem Roman werden mir einzelne gesellschaftliche Beschreibung aus Iran im Gedächtnis bleiben, die gesamte Geschichte jedoch leider weniger. Trotzdem gibt es von mir definitiv eine Leseempfehlung für alle, die einen Blick ins Innere dieses kontroversen Landes werfen möchten.

    3,5/5 Sterne

  1. Nach Hause kommen in ein fremdes Land

    Von katharina.51

    Nilufar, ein altpersischer Name wie aus Tausendundeiner Nacht.
    Alles andere als ein Märchen ist Nilufars Leben. Die Mutter eine Deutsche, der Vater ein Iraner, hat sie mit all diesen Diskriminierungen zu kämpfen, die binationalen Kindern widerfahren und wenn sie noch so subtil sind. Die Mutter trennt sich buchstäblich über Nacht von ihrem Mann, der in den Iran zurückgeht. Das ist eingetroffen, vor dem sich Nilufar immer gefürchtet hat.
    Sie hatte immer das Gefühl in einer unechten Familie, ja in einer unechten Welt zu leben, als seien die Beteiligten nur Schauspieler, sie ging davon aus hier nur provisorisch zu leben, als würde sie nur zufällig bei ihren Eltern leben. Sie bewegte sich durch die Welt, als sei alles nur gespielt.
    Der Vater war ein schweigsamer Mann, der ihr das Gefühl gab innerlich abwesend zu sein.
    Nach Abschluss ihres Studiums reist sie für drei Wochen in den Iran, auf der Suche nach innerer Heilung. Da sie dafür dringend Erklärungen von ihrem
    Vater braucht, wagt sie den Schritt in eine andere Welt. Sie findet eine zweite
    Heimat in einem Land, das vor vierzig Jahren von Verbrechern gekapert wurde, die es in eine blühende Kleptokratie verwandelt haben und in dem jedes falsche Wort lebensgefährlich sein kann.
    Es ist nicht einfach mit diesem Buch zurecht zu kommen.